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Erinnerungen

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Es ist Infektzeit in der Kindernotaufnahme. Hochsaison. Alles schnieft und hustet. Zum Teil muss den Kindern auch Sauerstoff gegeben werden, sie sind also sauerstoffpflichtig. Die Eltern bringen, weil auch die niedergelassenen Kinderärzte überfüllt sind, gleich alle Kinder zur Untersuchung mit in die Notaufnahme. Ein leeres Wartezimmer in dieser Zeit? Undenkbar! Auch ein Rettungswagen mit kranken Kindern und besorgten Eltern folgt auf den anderen. Es ist ein Kommen und Gehen. Mal ein persönliches Wort? Keine Zeit. Innerlich hoffen wir, dass die Kinder die Untersuchungen tapfer mitgestalten, sodass sie schnell nach Hause oder auf die Station können. Denn wir brauchen fix wieder die Untersuchungszimmer für neue Patienten.

    „Jede Begegnung, die unsere Seele berührt, hinterlässt in uns eine Spur,
    die nie ganz verweht.“

    (Lore-Lillian Boden, Schriftstellerin)

Und dann kommt dieser eine Moment, der mich plötzlich fast alles um mich herum vergessen lässt. Ich rufe den Namen auf ohne groß nachzudenken und dann fangen die Erinnerungen an, mich komplett einzunehmen.

Rückblick: Kampf um einen kleinen Jungen

Mein erster großer Notfall in der Kindernotaufnahme. Sieben Jahre ist es her, als ein kleiner Junge zu Hause plötzlich beim Mittagessen umgekippt ist. Dem Kind ging es nicht gut, als es bei uns eintraf. Wir haben gekämpft in der Kindernotaufnahme. Lange Zeit lag er auf der Intensivstation, eine Hiobsbotschaft folgte der nächsten. Dann kamen Rehabilitationen in verschiedenen Kliniken. Zwischendurch immer auch wieder Krankenhausaufenthalte bei uns im Hamburger Heidberg. Ich kannte diesen kleinen Jungen immer nur so, dass er in keiner guten Verfassung war. Und dann habe ich lange nichts mehr von ihm gehört. Die Erinnerungen verblassten aber nie ganz. Wenn uns Auszubildende oder auch Medizinstudenten nach Notfällen und deren Abläufen fragten, war dieser kleine Junge, seine plötzlich auftretende Erkrankung und die Folgeerscheinungen immer ein Thema.

Heute: ein fröhlicher großer Junge

Und nun? Nun sitzt ein fröhlicher großer Junge im Rollstuhl und eine entspannte Mama schiebt ihn in Richtung Untersuchungszimmer. Große Freude auf beiden Seiten. Trotz des Trubels nehme ich mir vor, wenigstens fünf Minuten Zeit für einen kleinen Plausch möglichzumachen. Die Mama gesteht mir, mich schon längst gesehen und sich so gefreut zu haben. Nein, da kann ich nicht einfach schnell, schnell machen, da muss ich bleiben. Und der große Junge im Rollstuhl umarmt mich, will mich gar nicht wieder loslassen. Wir schwelgen alle in Erinnerungen. Erinnerungen, die weh tun, aber auch Erinnerungen, die gut tun. Was mich am meisten freut: die Familie hat in dieser langen, schweren Zeit zusammengehalten. Die Schwester liebt ihren besonderen Bruder sehr und Mama und Papa sind für die zwei ein starker Fels in der Brandung.

Erinnerung an Hörnchennudeln

Nur eines ist ein Tabu in der Familie geworden: Es gibt keine Hörnchennudeln mehr. Spagetti ja, aber keine Hörnchennudeln. Die kann die Mama nicht mehr kochen und auch keiner in der Familie will und kann sie essen. Denn mit den Hörnchennudeln fing damals der Notfall an. Die Familie saß beim Mittagessen, als der Kleine aus heiterem Himmel plötzlich lautlos vom Stuhl auf den Fußboden fiel. Diese Erinnerung sitzt bei der Familie ganz tief. Selbst bei meiner ärztlichen Kollegin und mir kommen immer kurze Gedanken an diesen Notfall, wenn wir mal auf diese Nudelsorte stoßen.

Und der fröhliche Junge hat sich die größte Überraschung bis zum Schluss aufgehoben: Plötzlich steht er aus seinem Rollstuhl auf und läuft mit Mama an der Hand im Untersuchungszimmer herum. Freut sich wie verrückt, dass ich große Augen mache und Beifall klatsche. Es tut gut zu sehen, was aus einem großen Notfall werden kann, bei dem unklar war, wohin der Weg überhaupt geht.

Wie war das noch? Ich wollte mir nur fünf Minuten kurz ein Bild von dem fröhlichen großen Jungen machen. Dann sind doch etwa zehn Minuten daraus geworden. Aber die hole ich schnell wieder auf. Denn diese Zeit hat mir ordentlich Kraft gegeben für das volle Wartezimmer in der Infektzeit.

Fotos: Fotolia / VadimGuzhva, Pixabay / Gerd Altmann

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