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Wir sind keine Opfer

Autor:
Pflege

„Das könnte ich nicht.“ Diesen Satz höre ich immer wieder, wenn ich mit anderen über meinen Beruf spreche. Viele Menschen haben Bilder im Kopf, die die unangenehmen Bereiche des Pflegeberufs zeigen. Verstärkt wird das durch die Berichterstattung in den Medien, die häufig die schlechten Arbeitsbedingungen thematisiert, die in meinem Beruf zweifelsohne vielerorts herrschen. Viele Beiträge in diesem Blog zeigen aber auch, dass Pflege vielschichtig ist und an unterschiedlichen Orten stattfindet. In Kliniken, Pflegeeinrichtungen, im ambulanten Bereich und auch in der Privatwirtschaft – um nur einige zu nennen.

Ich habe bezüglich der Berichterstattung in den Medien gemischte Gefühle. Auf der einen Seite freue ich mich, dass das Thema Pflege langsam in der Öffentlichkeit ankommt. Wir Pflegekräfte bekommen Aufmerksamkeit und die Herausforderungen der Zukunft wie der demographische Wandel rücken mehr in den Fokus des gesellschaftlichen Interesses. Auf der anderen Seite macht es mir Sorge, wie mein Beruf in den Medien präsentiert wird.

Nur ein Teil der Wahrheit

Überarbeitung, frustrierte Pflegekräfte am Limit, desaströse Arbeitsbedingungen und geringe Bezahlung sind wiederkehrende Themen. Auch die Skandale der letzten Jahre fanden ihren Weg in die Öffentlichkeit: Schlagzeilen über Gewalt gegen Patienten, verwahrloste Bewohner in Pflegeeinrichtungen und Flucht aus dem Beruf sind weitere Themen der Berichterstattung. Ein grausamer, fürchterlicher Beruf, könnte man meinen.

All diese Berichte erzählen aber nur einen Teil der Geschichte und beinhalten nur einen Teil der Wahrheit. Es enttäuscht mich, dass mein Beruf häufig auf diese Situationen reduziert wird. Pflege ist mehr und Pflege ist sicherlich kein Opferberuf. Es muss die Frage erlaubt sein, warum es so viele Pflegekräfte dennoch in ihrem Beruf aushalten? Trotz vieler frustrierenden Momente, trotz einer Bezahlung, die sicherlich – je nach Standort und Arbeitsbereich – besser sein könnte.

Begegnungen mit Menschen

Hier kommen wir dann nämlich zu den interessanten Punkten. Mein Job ist zutiefst sinnerfüllt, anspruchsvoll und auf unterschiedlichsten Ebenen fordernd. Die Pflege von Menschen gibt einem viel zurück. Beispiele klingen häufig kitschig oder lassen sich nur schwer in Worte fassen. Egal wie lange man schon in diesem Beruf arbeitet, man ist niemals fertig mit dem Lernen. Formal, fachlich ist dies selbsterklärend: Die Medizin entwickelt sich. Neue Erkenntnisse und Verfahren werden eingeführt und müssen beherrscht werden.

Aber auch menschlich lernt man niemals aus. Jede Pflegekraft kann „aus dem Nähkästchen plaudern“, welche spannenden und interessanten Personen sie kennenlernen und begleiten durfte. Lustig, traurig, rührend oder einfach nur interessant. Ich habe zum Beispiel schon bekannte Schauspieler, Regisseure und Musiker betreuen dürfen. Gleichwohl haben andere Patienten emotional einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Eine 96-jährige Dame zum Beispiel, die die Hand ihrer 94-jährigen besten Freundin hielt. Sie hatten im Leben alles miteinander erlebt – Hochzeiten, Geburten, den Tod ihrer Männer und leider auch ihrer Kinder. Sie hatten nur noch sich gehabt – nun lag eine der beiden im Sterben. Ich sprach damals lange mit der Dame. Dieses Gespräch hat in meinem Gedächtnis einen Platz. Ich könnte auf Anhieb Dutzende solcher Begegnungen nennen.

Es ist ein verdammt gutes Gefühl, wenn ich mir sicher sein kann, dass ich meine Patienten gut, professionell und menschlich behandelt habe. Dass ich vielleicht etwas sah, was andere übersehen haben. Dass ich Tröster, Motivator und Kummerkasten war – vielleicht zur rechten Zeit auch einmal deutliche Worte fand. Als Pflegekraft bin ich Teil eines Systems, das die Lebensqualität eines Menschen verbessert. Ohne meinen Beitrag und den der Kollegen würde dieses System wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen. Auch ein „Danke“ von Patienten, Angehörigen oder Kollegen kann sich verdammt gut anfühlen.

Vertrauen und Wissen

Pflege hilft Menschen, sich wieder selber helfen zu können, übernimmt Teilaspekte des Lebens, die eine Person gerade nicht mehr alleine bewerkstelligen kann. Sie unterstützt dabei, diese Selbstständigkeit wieder zu erlangen. Nicht umsonst gilt die Pflege als einer der Berufe, dem am meisten Vertrauen entgegengebracht wird. Das wird durch einen hohen fachlichen Anspruch und ein breites Fortbildungsspektrum ergänzt. Pflege ist eine Profession, denn ohne umfangreiches medizinisches Wissen geht es nicht. Studiengänge in der Pflege bekommen einen immer wichtigeren Stellenwert. Pflege forscht und gewinnt neue wissenschaftliche Erkenntnisse.

Jetzt ist die Zeit, aktiv für unseren Beruf einzutreten. Das bedeutet aber auch, dass wir neben den negativen Aspekten auch die positiven nennen und verbreiten müssen. Wenn ich nur das lesen würde, was in den Medien steht oder meinem eigenen Meckern nach einer schlimmen Schicht zuhöre – ich würde es mir sehr gut überlegen, ob ich mir das antun würde… Aufgrund meiner Erfahrungen aber würde ich meinen Beruf immer wieder erlernen.

Foto: Fotolia/sudok1

Marc Alexander Noll

(Jahrgang 1981) ist Stationsleiter der Internistischen Intensivstation der Asklepios Klinik Barmbek. Er ist verheiratet und hat einen Sohn. Marc hat ein Faible für unnötiges technisches Spielzeug, wie er selbst sagt. Bei Computern und Handys ziehen ihn die neuesten Modelle magisch an. Sport steht täglich auf Marcs Programm. Er geht Joggen, am liebsten im Jenfelder Moor, oft aber auch einfach vor der Haustür. Neuerdings macht er Karate – als Ausgleich und zum Abreagieren. Auch seinen Sohn konnte er für die asiatische Kampfkunst begeistern. Wunderbar abschalten kann Marc auch mit der Gitarre in der Hand. Er spielt in einer Band, mit der er regelmäßig auftritt.


    Über Uns

    Wir sind Pflege! Denn mit mehr als zwei Millionen Patient:innen sind die Asklepios Kliniken eines der größten Gesundheits-unternehmen in Deutschland. Mehr als 67.000 Mitarbeiter:innen sind rund um die Uhr im Einsatz - ein großer Teil von ihnen als Pflegekräfte.
    Auf diesem Blog erzählen einige von ihnen aus ihrem Alltag in einer der bundesweit rund 170 Gesundheitseinrichtungen von Asklepios. Wie sie arbeiten und was sie bewegt, lesen Sie hier.

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