Wir arbeiten nicht nur in einem extrem anspruchsvollen Beruf – auch gehen die Vorstellungen davon auseinander. Wir hören immer wieder den Ruf von diversen Verbänden nach akademisierten Pflegekräften im Beruf – und diese gibt es nun tatsächlich: Pflegekräfte, die studiert haben und in der Patientenbetreuung und Mitarbeiteranleitung tätig sein sollen, die Konzepte entwickeln und wissenschaftlich evaluieren. Da scheint sich etwas zu bewegen im Lande.
Doch geht man in die Praxis, ganz egal in welchen Bereich, sind den Pflegenden diese akademischen Berufsbilder oft gar nicht bekannt und man kann sich auch überhaupt nicht vorstellen, was diese akademischen Pflegekräfte nun anders machen sollen oder können. Selbst für frisch ausgebildete Pflegekräfte ist Pflegewissenschaft oft nur etwas sehr Abstraktes, vielleicht haben sie im Unterricht mal davon gehört. Woran liegt das nun?
Entwicklungsland in der Pflege?
Wie kommt es, dass unsere europäischen Nachbarn alle Pflege studieren müssen und nicht wie wir in der Schule lernen? Warum gibt es dort sogar Master und Doktoren in der Pflege und hierzulande nicht? Sind wir etwa ein Entwicklungsland hinsichtlich der Pflegeausbildung oder gar des Gesundheitssystems im Allgemeinen? Das wäre jetzt eine spannende Diskussion. Gern würde ich eure Meinung dazu lesen.
Arbeitgeber fördert Studium für Pflegekräfte
In meiner kleinen Landklinik ist es tatsächlich der Fall, dass viele Pflegekräfte, auch in fortgeschrittenem Alter, ein Studium in der Pflege anstreben und dies sogar vom Arbeitgeber unterstützt wird. Viele Studiengänge werden berufsbegleitend oder auch als Fernstudium angeboten, sodass die Organisation von Studium, Beruf und Familie gut zu schaffen ist. Wir haben auf unseren Stationsleitungsposten immer häufiger akademisierte Pflegekräfte, die Pflegemanagement studiert haben. Aber auch im fachpraktischen Bereich, also in der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis, haben wir Pflegekräfte mit Hochschulabschluss, die zum Beispiel Advanced Practice Nursing oder Pflegewissenschaft studiert haben.
Ich arbeite als Advanced Practice Nurse im Intensivpflegebereich und habe ein sehr weitreichendes Aufgabengebiet. Es reicht von der Konzeptentwicklung (natürlich im Team!), wissenschaftlicher Evaluation, Übernahme medizinischer Tätigkeiten über Praxisanleitung bis zur Patientenbetreuung. Im Prinzip bin ich eine Art Ein-Mann-Abteilung, die der Geschäftsführung untersteht und auf Ebene der Assistenzärzte angesiedelt ist (allerdings leider nicht vom Gehalt).
Viel mehr als Herz und Fürsorge
Sicherlich ist das noch relativ exotisch, insbesondere in einem relativ kleinen Haus wie meiner Klinik. Hier wurde erkannt, wie groß der Nutzen für alle ist. Für interessierte Pflegekräfte bedeutet das, dass sie die Möglichkeit haben, sich weiter zu entwickeln und neue Aufgaben eigenverantwortlich zu übernehmen. Mein Beruf kann so viel mehr sein, als oft dargestellt wird. Pflege ist heute extrem anspruchsvoll und komplex. Herz und Fürsorge reichen da bei weitem nicht aus. Herz und Fürsorge sind im Grunde auch keine Qualifikationen, denn die haben wir eh! Die Komplexität, mit der Pflegekräfte heute umgehen müssen, sind der Grund, weshalb der Beruf nicht zu jedem passt. Wer sich gerade mit der Entscheidung beschäftigt, welche Richtung er beruflich einschlagen möchte, der sollte sich möglichst ausführlich informieren. Der Pflegeberuf ist zukunftsfest – und hat immer mehr zu bieten.
Foto: Andreas Schäfer
Dieses Thema ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits ist es natürlich wünschenswert, dass Pflegekräfte die Möglichkeit bekommen, sich fortzubilden und auf der Karriereleiter (und damit auch auf der Gehaltsleiter) nach oben zu steigen. Andererseits muss man sehr aufpassen, wie man ein solches Studium in Deutschland integriert. Bisherige Erfahrungen mit der Veränderung von Ausbildungs- oder Studiengängen zeigen leider, dass vieles vorschnell und damit wenig praktikabel umgesetzt wird.
Ich habe zwei schwere Bedenken: Das Studium darf nicht zur Pflicht werden. Wenn altgediente Pflegekräfte plötzlich einen Zettel vorweisen müssten, der ihnen bescheinigt, dass sie ihre Arbeit tatsächlich beherrschen, wäre hier Land unter. Und was ist mit den Arbeitswilligen, die nicht studieren können? Gerade bei unserem aktuellen Pflegenotstand hätte das schwerwiegende Auswirkungen.
Der zweite Punkt: Keinesfalls sollten studierte Pflegekräfte ohne praktische Erfahrungen nach dem Abschluss als Vorgesetzte für Pflegende eingesetzt werden dürfen. Das mag vor allem Verfechtern des Studiums übel aufstoßen, aber er ist so wichtig: Der Pflegealltag mit all seinen großen und kleinen Katastrophen ist schließlich doch etwas anderes als das (Fern-)Studium. Wer die Theorie studiert, ohne die Praxis ausreichend zu kennen, verfällt viel zu leicht dem Irrglauben, dass man die Pflege von Menschen durchtakten kann, als handle es sich um ein beliebiges Projekt.
Sehr gut geschrieben. Der gleichen Meinung bin ich auch. Die Pflege in Deutschland ist ein Entwicklungsland. Das zeigt auch die neue Ausbildungsreform, die völlig daneben ist. Die Ausbildung müsste auch auf 3.5 -4 Jahre erweitert werden. Die Azubis werden an der Realität vorbei ausgebildet.
Deutschland ist hinsichtlich der Akademisierung des Pflegeberufes tatsächlich im Vergleich zu beispielsweise Skandinavien ein Entwicklungsland. Wir müssen da schleunigst aufholen, denn der Pflegekräftemangel kann nur entweder über eine Erhöhung der Mitarbeiterzahlen oder bessere Qualifizierung von Mitarbeitern angegangen werden, bestenfalls auf beiden Wegen.
Den Einsatz von Bachelors oder Masters stelle ich mir so vor, dass beispielsweise auf jeder Pflegestation mindestens eine/r davon eingesetzt wird. Eine grundsätzliche Ausbildung aller Pflegekräfte halte ich nicht für nötig, jedoch müssen wir hier besser werden, auch bezüglich der Zusammenarbeit mit Ärzten und der Vermittlung und der Umsetzung pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse.