Die häufigste Reaktion, wenn ich erzähle, dass ich Stationsleiterin in der Psychiatrie bin: „Psychiatrie?! Das ist bestimmt anstrengend!“ Dahinter steckt meistens, dass kaum jemand eine Vorstellung von psychiatrischer Pflege hat. Das Image: Lauter Verrückte werden mit Medikamenten und Fixiergurten ruhig gestellt, und das Personal geht Kaffee trinken.
Die Realität…
… sieht zum Glück ganz anders aus. Heutzutage sind die meisten Stationen nach fachlichen Schwerpunkten sortiert. Ich arbeite mit jungen Erwachsenen, oft gerade volljährig geworden, die mit den Aufgaben des eigenständigen Lebens überfordert sind – und mit den Angeboten der Erwachsenenstationen auch nicht zurechtkommen. So erhalten die Patienten eine auf sie zugeschnittene Therapie, an der alle Berufsgruppen beteiligt sind. Nicht nur die Therapeuten, auch die Pflege kennt sich in ihrem Bereich besonders gut aus. Am besten lässt sich das an einem typischen Tag in der psychiatrischen Pflege zeigen. Durch den Schichtdienst beginnt der Tag in der Pflege mit dem Frühdienst, meistens um 6 Uhr morgens.
Start in den Tag
Nach der Übergabe vom Nachtdienst werden zunächst die organisatorischen Aufgaben erledigt: Essen bestellt, Medikamente vorbereitet, die Dokumentation überprüft. Für die Patienten auf meiner Station beginnt der Tag entweder um 7 Uhr, wenn sie uns bei der Vorbereitung des Frühstücks helfen, oder um 7:30 Uhr. Um diese Zeit treffen sich alle Patienten mit dem Personal der Pflege, um in einer Morgenrunde loszuwerden, wie es ihnen geht, wie die Nacht war und was für den Tag ansteht. Während wir Pflegekräfte die Inhalte der Runde dokumentieren, haben die Patienten Zeit zu frühstücken.
Die Übergabe
Sind die Aufgaben der frühen Morgenstunden erledigt, wird selbst gefrühstückt, bevor dann die Therapeuten ihren Dienst beginnen. Unsere wichtigste Aufgabe ist nun, dem gesamten Team in einer Übergabe zu berichten, was bei jedem einzelnen Patienten vorgefallen ist, mit welchen Themen die einzelnen beschäftigt sind. Wir verteilen, wer die Gespräche bei Entlassungen und Neuaufnahmen führt, terminieren weitere Gespräche mit uns Pflegekräften und besprechen anstehende ärztliche Untersuchungen.
Der lebendige Vormittag
Ist die Übergabe vorbei bleibt bis zum Beginn des Spätdienstes Zeit für die Patienten. Zum Reden. Gespräche mit den Bezugspatienten – so ist für jeden Patienten neben dem Einzeltherapeut auch eine Pflegekraft zuständig. Aufnahmegespräche, Krisengespräche, sowie der kurze Kontakt bei den regelmäßigen Zimmerdurchgängen. Die ärztlichen Visiten begleitet immer eine Person aus meinem Team – oder ich selbst – und stellt so die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen sicher. Außerdem begleiten wir die Vor- und Nachbereitung der Mahlzeiten. In unseren Aufgabenbereich fallen darüber hinaus eine Vielzahl medizinischer Maßnahmen, beispielsweise Verbandswechsel und Blutdruckkontrollen.
Der intensive Nachmittag
Von den 15 speziellen Therapieangeboten unserer Station, werden acht von der Pflege durchgeführt, einige davon am Nachmittag oder Abend. Dazu gehören Entspannungstherapien und Achtsamkeitsübungen (sich auf sich selbst konzentrieren). Oder die „Skillsgruppe“, bei der Fähigkeiten erlernt werden, durch die destruktive Verhaltensweisen ersetzt werden sollen. Das ist eine der Therapien, die ich besonders gerne anleite.
So füllt sich die Zeit schnell. Sind die Patienten am Vormittag beschäftigt, kommen in den Abendstunden oft die quälenden Gedanken und Gefühle hoch, die dann von uns in Gesprächen aufgefangen werden.
Vom Abend durch die Nacht
Während des größten Teils des Spätdienstes und während des Nachtdiensts sind wir einzige Ansprechpartner für alle Patientenanliegen und informieren nur im Notfall die Ärzte. Nachts ist immer nur einer aus dem Pflegeteam da. Durch diese Situation entsteht eine besondere Verantwortung. Zusammen mit den beschriebenen Tätigkeiten funktioniert die heutige psychiatrische Pflege nur durch die hohe fachliche Qualifikation jedes Einzelnen!
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