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Ohnmacht und Wut: Manchmal wird alles zu viel

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Patientenbetreuung

Es gibt Tage, an denen läuft die Patientenbetreuung absolut nicht rund. Neulich war so ein Tag auf meiner Station. Meine Ambitionen, mein Idealismus und mein steter Optimismus wurden kräftig durchgeschüttelt. Es war, als lägen überall Steine im Weg, und an ein Vorankommen war einfach nicht zu denken. Ich hatte das Gefühl, nichts mehr ausrichten zu können. Gar nichts.

Wozu diese Stelle als stellvertretende Stationsleitung, wenn ich, subjektiv empfunden, in dem Moment so hilflos bin? Dann hätte ich doch auch die kleine Nachteule bleiben können. Am liebsten hätte ich mit der Faust auf den Tisch gehauen. Oder lauthals geflucht. So wütend und hilflos fühlte ich mich. Eigentlich bin ich ein friedlicher Mensch, der seinen Standpunkt gut und sicher vertreten kann, aber meistens vorher den Kopf einschaltet, die Contenance bewahrt und dann argumentativ klar und deutlich spricht. Was war passiert?

Phase der Einarbeitung auf der neuen Station

Seit ein paar Wochen arbeite ich als Kranken- und Gesundheitspflegerin und stellvertretende Stationsleitung auf einer interdisziplinären Station für Gefäßchirurgie und Gastroenterologie. Die ersten Tage und Wochen waren nach vielen Jahren in der sprechenden Medizin sehr ungewohnt für mich. Die unvertrauten Pflegemaßnahmen in der Patientenbetreuung und teilweise unstrukturierten Abläufe forderten meine wache Aufmerksamkeit. Durch die geduldige Unterstützung meiner erfahrenen Kollegen gewinne ich inzwischen zunehmend an somatischer pflegerischer Routine. Trotzdem komme ich manchmal sehr müde und kaputt vom Dienst nach Hause. Mein Kopf brummt von den vielen neuen Eindrücken. Und die Schultern schmerzen vom Drehen und Lagern pflegeintensiver Patienten. Für diese Patienten müssen wir die Körperpflege übernehmen, und wenn sie sich nicht bewegen können, müssen wir sie drehen, damit sie keine Druckstellen bekommen. Die Arbeit am Schreibtisch für diesen Blog blieb für einige Wochen unverrichtet liegen. Das liegt für mich aber noch alles im normalen Bereich der Patientenbetreuung im Stationsalltag.

Zum Frühdienst ist das Team dezimiert

An besagtem Tag erschien ich zum Dienstbeginn um 5:54 Uhr im Stationszimmer. Noch vor dem ersten Kaffee ereilte mich die Nachricht, dass Kollegen krankheitsbedingt ausfallen. So etwas passiert. Jeder wird mal krank. Aber ein Ausfall bedeutet, dass die bereits dünne Personaldecke noch magerer wird und dass unter der bildlich gesprochenen Decke Kopf und Füße frieren. Weil es einfach nicht reicht. Das war also der Start des Tages. Nach wenigen Minuten war ein strukturierter Plan zur Bewältigung des Frühdienstes erarbeitet. Los ging es. Bemerkenswert, wie gut dann doch vieles klappt. Jeder meiner Kollegen arbeitete sich konzentriert durch seine Patientenzimmer. Die Pflegedirektion wurde über den Personalausfall informiert und versicherte, für Unterstützung zu sorgen. Klingt doch eigentlich alles gut?

Der ganz normale Wahnsinn?

Inzwischen liefen die Ärzte zur Visite durch die Zimmer. Die zwei Stationstelefone klingelten ohne Unterlass und die Sekretärin hatte Mühe, in dem sich ankündigenden Chaos Ruhe zu bewahren. Bestimmt ein Dutzend einbestellter Patienten fand sich im Laufe des Vormittages auf der Station zur Aufnahme ein, und die zentrale Notaufnahme fragte gefühlt im Zehn-Minuten-Takt nach freien Betten. Leider kamen mein Team und ich mit den Entlassungen nicht hinterher, noch lagen nicht alle Entlassungsbriefe vor. Natürlich mussten auch Dinge wie Verbandswechsel durchgeführt werden und Patienten für geplante Operationen vorbereitet werden. Die Visite wollte natürlich schnell ausgearbeitet werden, noch hatten aber die Ärzte die Patientenakten in ihren Händen.

Schwierig ist es in solchen Situationen, einen Arbeitsgang zu Ende zu erledigen. Viele Unterbrechungen erfordern noch mehr Konzentration, um nichts zu vergessen. Ich dachte an einen Ameisenhaufen – erinnerte mich aber, dass Ameisen ein eher strukturiertes Volk sind. Also eher einem Flohzirkus glich meine Station an diesem Tag. Es erschien mir, als liefe alles aus dem Ruder. Und das Gefühl, völlig unzureichend zu sein, durchtränkte mich. So etwas mag ich gar nicht.

Die Pflegedirektion meldete sich und kündigte pflegerische Hilfe an. Halleluja! Endlich hatten wir Unterstützung. Die zu entlassenen Patienten erhielten ihre vorläufigen Entlassungsbriefe und verließen die Station. In Zusammenarbeit mit dem Reinigungspersonal wurden die neuen, sauberen Betten und Zimmer hergerichtet, so dass die im Aufenthaltsraum wartenden neuen Patienten aufgenommen werden konnten. Ein Ende des Chaos schien für das Personal des Frühdienstes absehbar.

Ein gutes Gefühl am Ende

Wir haben es mal wieder geschafft. Auch wenn es einiges gibt, was hätte besser laufen können. Vor wenigen Wochen begann ich meine Arbeit auf dieser Station. Mit schlauen Gedanken, hoch motiviert und strukturliebend hoffte ich, zügig und schnell ein komplexes Konzept zu erstellen, um dieses große interdisziplinäre Team zusammenzuführen und zu organisieren. Es braucht aber einfach Zeit. Und Geduld. Es ist naiv zu denken, dass mit einem Mal ein Wunder geschieht.

Es wird immer wieder Momente im stationären Alltag geben, die kaum zu bewältigen scheinen. Dabei geht es darum zu erkennen, was das Team vor Ort alleine schaffen kann und wann es Hilfe von außen benötigt. Und ich bin mir sicher, dass es gegenseitiges Vertrauen, gegenseitige Wertschätzung und eine Portion Organisationstalent braucht. Nur so wird es funktionieren.

Foto: Fotolia / chanawit

Britta Sanders

Britta Sanders (Jahrgang 1973) arbeitet in der psychosomatischen Tagesklinik Ulmenhof in Winterhude, die zum Asklepios Westklinikum und der dortigen psychosomatischen Abteilung angehört. Zuvor hat sie in verschiedenen Positionen, unter anderem als Stations- und Abteilungsleitung, im Westklinikum in Rissen gearbeitet. Sie bringt mehr als 20 Jahre Erfahrung in ihrem Beruf mit. Britta engagiert sich politisch für die Pflege und für die Region in der sie lebt, seit kurzem sogar im Kreistag des Landkreises Stade. Sie lebt mit ihren zwei heranwachsenden Kindern im Alten Land, umgeben von Apfelbäumen und Rehen als Besucher in ihrem Garten. Als Ausgleich zur Arbeit in der Tagesklinik buddelt sie leidenschaftlich gern in ihrem Garten. Sie kocht und strickt mit Freude. Kinobesuche liebt sie sehr. Aber Brittas absoluter Lieblingsplatz in allen Lebenslagen ist der Strand von Sankt Peter-Ording. Am Meer ist sie am glücklichsten.


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    Auf diesem Blog erzählen einige von ihnen aus ihrem Alltag in einer der bundesweit rund 170 Gesundheitseinrichtungen von Asklepios. Wie sie arbeiten und was sie bewegt, lesen Sie hier.

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