Teil III: Ein Nachmittag wie kein anderer – und doch Alltag
Es ist 12.15 Uhr und meine Mittagspause ist gerade vorbei. Vormittags sind häufig viele kleine Anliegen und Aufgaben abzuarbeiten. Was dazu gehört, ist in meinen letzten beiden Beiträgen (Teil I) und (Teil II) zu lesen. Als Stationsleitung in der Psychiatrie habe ich nachmittags meist Gespräche zu führen und weniger Termine, die dafür aber jeweils länger dauern.
12.15 Uhr
Ich gehe nach meiner Pause zu den Kollegen ins Dienstzimmer und helfe bei den Vorbereitungen für den Spätdienst. Die Mittagsmedikamente müssen ausgeteilt werden. Verlaufsberichte für den Vormittag müssen für alle 25 Patienten verfasst werden. Das Mittagessen wird wieder gemeinsam mit zwei Patienten abgeräumt. Eine Person von uns geht zum Abschluss durch alle Patientenzimmer, um im Blick zu haben, welche Patienten sich wo aufhalten und wie es ihnen geht.
13.15 Uhr
Die Übergabe an den Spätdienst beginnt. Der Reihe nach gehen wir Patientenakte für Patientenakte durch. Die Vorkommnisse der letzten Dienste werden weitergegeben, aktuelle Entwicklungen besprochen. Neuaufnahmen werden besonders ausführlich vorgestellt.
Dabei sind wir immer wieder mit Biographien konfrontiert, in denen Vernachlässigung in der Familie, Missbrauch, Misshandlung, Vergewaltigungen, Mobbingerfahrungen in der Schule, Fluchterfahrungen und leider noch viele andere schlimme Dinge vorkommen. Den Erfahrungen, die viele Menschen machen müssen, scheinen keine Grenzen gesetzt. Unsere Möglichkeit, damit umzugehen, ist das Teilen. Wir teilen unsere eigenen Gefühle mit und hören uns gegenseitig zu. Anders würden wir die Fähigkeit verlieren, den Patienten zu helfen.
14.00 Uhr
Heute ist Freitag. Das heißt, an die Übergabe schließt sich unser „Blitzlicht“ an. Alle Kollegen erzählen, wie es ihnen geht, was in der vergangen Woche gut lief und was nicht. Das ist ein Moment, in dem wir immer wieder auch private Belastungen erwähnen. Nicht im Detail, aber so ist es einfacher, miteinander umzugehen und rücksichtsvoll zu sein.
14.15 Uhr
Mein erster Nachmittagstermin steht an. Ich habe mit einer Kollegin einen Termin zur „Pflegevisite“ vereinbart. Als Stationsleitung muss ich auch die Umsetzung des Pflegesystems „Primary Nursing“ im Blick behalten. Das bedeutet, dass jeder Pflegekraft Patienten zugeteilt sind, die sie von der Aufnahme bis zur Entlassung betreut und die Schnittstelle zwischen den Berufsgruppen bildet. In der Pflegevisite überprüfe ich zusammen mit meinen Mitarbeitern die Akte des Patienten. Ist alles vollständig und korrekt geführt?
Den größeren Teil nimmt aber der inhaltliche Austausch ein. Mir wird der Fall im Detail vorgestellt. Mit welchen Themen sind Pflegekraft und Patient beschäftigt? Welche biographischen Informationen sind bekannt? Welche Ziele sollen erreicht werden? Gibt es Schwierigkeiten? Wenn ja, ist jetzt der Moment, gemeinsam Lösungsideen zu entwickeln.
Als ich die Pflegevisite eingeführt habe, waren einige Kollegen verunsichert. Die Befürchtung kam auf, ich wolle nur nach Fehlern suchen. Inzwischen sind alle froh, auch mal Zeit zu haben, ihrer Chefin zu zeigen, was eigentlich alles geleistet wird. Der Termin wird auch gern genutzt, um unter vier Augen über offene Fragen und Probleme zu sprechen.
15:00 Uhr
Dieser Freitag ist zugleich mein letzter Arbeitstag vor meinem Urlaub. Wir sind ausreichend besetzt, und ich konnte tatsächlich schon alles erledigen, was unbedingt noch vor meinem Urlaub erledigt werden musste. Ich nutze die Gelegenheit, bummel eine meiner Überstunden ab und verabschiede mich nach einem ganz durchschnittlichen Arbeitstag – ohne Zwischenfälle, aber trotzdem nicht wie jeder andere.
Foto: Asklepios