Jedes Jahr wieder nehme ich an einer Reanimationsfortbildung teil. Wir lernen die lebensrettenden Erstmaßnahmen, um den Patienten zu helfen, bis das Reanimationsteam kommt. In der Patientenbetreuung in der Psychiatrie gibt es aber auch noch andere Notfälle. Notfälle, die so vielfältig sein können, wie es Menschen auf der Welt gibt.
Wenn die Seele weint… Das ist ein Satz, den ich mir immer dann vor mein inneres Auge hole, wenn ein Patient etwas für mich nicht Nachvollziehbares tut. Denn ich glaube, dass hinter all der Aggressivität, die Patienten gegenüber anderen und sich selbst zeigen, erlittene Verletzungen liegen. Nur wie soll ein Mensch traurig sein können, der nie Trost erfahren hat? Der keinen Trost erfahren hat, weil kein Mensch da war, der ihn als kleines Kind getröstet und geliebt hat? Ein Mensch, dem das passiert ist, hat es schlicht nicht gelernt, sich selbst zu beruhigen.
Zu psychiatrischen Notfällen kommt es dann, wenn ein Patient in eine Gefühlslage gerät, in der er sich nicht mehr selbst beruhigen kann. Ich habe dann vor allem zwei unterschiedliche Verhaltensweisen erlebt:
Aggressionen gegen sich selbst
Sich selbst Schaden zuzufügen, ist in der Psychiatrie die häufigste Art, inneren Druck abzubauen. Das beginnt mit dem Konsum von Alkohol oder Drogen, um sich zu betäuben. Es gibt Menschen, die nichts mehr essen und auf diese Weise am Ende keine Kraft mehr haben, traurig zu sein. Auf der Station, auf der ich arbeite, gibt es viele Patienten, die sich selbst verletzen. Sie fügen sich Wunden zu – Schnitte, Brandwunden, Kratzwunden. Der körperliche Schmerz überdeckt den seelischen Schmerz. Es kommt vor, dass ein Patient zu viele Drogen und Medikamente konsumiert oder zu tief schneidet. Der psychiatrische Patient wird dann zu einem somatischen Patient und muss chirurgisch oder intensivmedizinisch versorgt werden.
Aggressionen gegen andere
Es kommt aber auch zu Übergriffen. Die Wut kann so unkontrollierbar werden, dass es zu Angriffen unter Patienten kommt – oder auch gegenüber dem Personal. Oder es ist Angst, die jemanden dazu bringt sich zu wehren – manchmal obwohl kein Grund dazu besteht. Die Angst kann den Druck so groß werden lassen, dass etwas als bedrohlich empfunden wird, was von außen betrachtet gar nicht bedrohlich ist. Kommt es zu so einer heftigen Eskalation, gibt es Alarmsysteme, mit deren Hilfe wir Kollegen von anderen Stationen zur Hilfe holen können.
Professionelle Patientenbetreuung
In der Asklepios Klinik Nord gibt es inzwischen eine Fortbildung, die sich ProDeMa nennt. Das steht für Professionelles Deeskalationsmanagment . In dieser Fortbildung lernen wir, wie wir uns in der Patientenbetreuung so verhalten können, dass es gar nicht erst zu einer bedrohlichen Situation kommt. Wir lernen Strategien, wie wir beruhigend auf die Patienten einwirken können.
So habe ich das Gefühl, dass ich dazu beitragen kann, dass Patienten neue Erfahrungen machen. Vielleicht erleben sie dann sogar irgendwann, dass ihre Seele wirklich weinen darf – und dann aber den verdienten Trost findet.
Foto: Katharina Voß