VON JOCHEN SCHWAB
Wir wissen es alle ganz genau: Zu jedem menschlichen Leben gehört unweigerlich der Tod Aber wie sieht es ganz konkret aus, wenn Patienten sterben? Was empfinden wir, was fühlen wir in solchen Momenten? Wie versuchen wir, das Faktum der Endlichkeit menschlicher Existenz in unsere Arbeit im Krankenhaus zu integrieren?
Eine kleine Begebenheit aus meinem Nachtdienst
Wir versorgten einen Patienten, der mit Bauchspeicheldrüsenkrebs zu uns kam. Die Prognose war von vorneherein sehr schlecht. Seine Ehefrau, mit der er schon über 40 Jahre verheiratet war, war von Anfang an sehr involviert in das Geschehen rund um ihren Mann. Sie nahm Anteil, brachte sich ein, unterstütze uns nach Kräften, wo es nur ging.
In den Nächten kurz vor dem Tod des Mannes war seine Frau stets an seiner Seite. Wir schoben zwei Betten zusammen; in dem einen lag er, in dem anderen sie. Während der letzten Nacht des Patienten warf ich – eher routinemäßig – einen Blick in das Patientenzimmer: Die Frau war wach, hielt die Hand ihres Mannes, der friedlich neben ihr lag. Er war gestorben.
Der Tod war eingetreten, während seine Frau neben ihm schlief. Sie war erwacht, hatte die Situation erkannt und dann einfach eine gute Stunde die Hand ihres Mannes gehalten, ohne irgendjemanden zu informieren. Sie wollte allein sein mit ihrem Mann. Dabei liefen ihr einige Tränen über die Wangen, dazwischen lächelte sie.
Tod und Schlaf – zwei Geschwister
So nahe sind der Tod und der Schlaf, so nah und eng. Eine gemeinsame Lebensgeschichte, die bis in den Tod reichte. Wer würde sich nicht einen solchen Tod wünschen?
Und doch ist er die Ausnahme. Oftmals sterben Menschen vereinsamt, ganz allein. Ohne einen Menschen, der ihnen in diesem Moment nahe ist.
Die Angst der Pflegenden vor dem Tod
Sehr gut kann ich mich noch an meinen ersten verstorbenen Patienten erinnern. Ich hatte Nachtdienst zusammen mit einer sehr erfahrenen Schwester. Ein Patient war plötzlich und relativ unerwartet gestorben. Meine Kollegin sagte mir, ich solle kurz bei dem Toten warten, bis sie die nötigen Utensilien aus dem Stationszimmer geholt habe.
Diese Minuten bis meine Kollegin zurückkam, waren die schwersten, die ich bis dato in meinem Beruf als Krankenpfleger erlebt habe: Da liegt ein Mensch, der bis vor Kurzem noch gelebt hat. Er liegt da und wird nie mehr die Augen öffnen, sich nicht mehr bewegen, keine Freude, kein Leid mehr empfinden. Ich wurde knallhart mit dem Tod konfrontiert, mit dessen Unausweichlichkeit. Mit der Endlichkeit menschlicher Existenz.
Ich war froh, als meine Kollegin wieder das Zimmer betrat. Wir versorgten den Patienten und brachten ihn anschließend in den Verabschiedungsraum.
Meine Kollegin verabschiedete sich auf ihre Weise von dem Patienten, in dem sie ihm lange und behutsam ein Kreuz auf die Stirn zeichnete und anschließend ihre Hand dort noch etwas ruhen ließ.
Möglichkeiten der Begleitung Sterbender im Krankenhaus
In meinem beruflichen Umfeld geht es allzu oft nur um Zahlen, um Fallpauschalen, um monetären Ertrag. Dabei ist es uns in besonderem Maße aufgetragen, für sterbende Menschen da zu sein.
Patentrezepte gibt es da nicht. Vorgefertigte Standards, wie sie zeitweise propagiert wurden, sind fehl am Platz. Oftmals reicht eine kleine Geste, ein Hand-Halten, ein mit echter Teilnahme gesprochenes Wort, eine Berührung, ein Gespräch, um den Menschen spüren zu lassen, dass er nicht alleine ist.
Was hilft gegen die Angst vor dem Tod?
Eine entscheidende Hilfe im Umgang mit dem Tod sind Rituale, kleine Gesten und Tätigkeiten, die wir in bestimmten Situationen ausüben. Mit Ritualen prägen wir unser Leben und auch die Art, wie wir mit dem Tod umgehen. Gemeint ist jegliche Art von Ritual, sei es nun christlich geprägt oder aus einer anderen Quelle gespeist.
Solche Rituale können beispielsweise das Handauflegen meiner Kollegin sein. Es können auch Blumen sein, die man dem Verstorbenen in die Hand legt.
Mir persönlich hilft Musik. Ich habe hier (wie auch in vielen anderen Bereichen meines Lebens) die Musik von Johann Sebastian Bach für mich entdeckt – und für diese Situationen speziell den „Actus tragicus“, BWV 106: „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“. Wer einmal reinhören möchte, kann das bei YouTube finden, den Text findet Ihr hier. Oder den Choral „Komm o Tod, du Schlafes Bruder“ aus der Kreuzstabkantate BWV 56. Das ist ebenfalls zu finden bei YouTube, der Text steht hier.
Tod bleibt ein Tabuthema
Hilfreich ist es auch, sich frühzeitig mit dem Tod auseinander zu setzen – sei es nun mit dem eigenen Tod oder dem Tod eines uns anvertrauten Menschen. Heutzutage, in unserer technisierten, auf Funktion hin ausgerichteten Lebenswelt, ist und bleibt das Thema Tod ein Tabuthema. Diesem Tabu können wir aber gerade im Pflegeberuf nicht ausweichen.
Ich denke, das Ehepaar aus der oben geschilderten Begebenheit hat es erkannt und für sich umgesetzt: Es gilt, diesen, neben unserer Geburt zweiten Fixpunkt unseres Lebens anzunehmen, sich damit zu beschäftigen, ihn nicht zu verdrängen oder zu tabuisieren. Nur dann kann es uns gelingen, den Tod als unausweichlich und existentiell anzunehmen, nur dann können der Tod und der Schlaf vertraute Geschwister werden. So kann der Bruder Tod einen großen Teil seines Schreckens verlieren.