Wie in ganz Deutschland mussten auch wir in der Asklepios Klinik Lich uns dem Pflegenotstand stellen. Wo sollten die vielen Mitarbeiter herkommen? Wie sollte man so schnell neue Fachkräfte ausbilden? Wie gut muss die Bezahlung sein, dass man freiwillig in den Schichtdienst geht? Fragen über Fragen. Doch die Antwort war vielen schon klar. Wir brauchen gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland. Dies wäre die schnellstmögliche Lösung für alle Probleme. Also entstand in kürzester Zeit ein Projekt für Mitarbeiterakquise aus dem In- und Ausland.
Es folgten zum Beispiel mehrere Bewerbertage in der Klinik, bei denen Interessenten in Ruhe Gespräche mit Stationsleitungen und Pflegedienstleitung führen konnten, sich die potenzielle Station anschauen und zum Schluss auf einen Grillabend oder eine Pizza bleiben konnten. Zudem gab es mit anderen Kliniken aus dem Umkreis gemeinsame Veranstaltungen in öffentlichen Einrichtungen, um Interessierte und Quereinsteiger, die sich neu orientieren wollten, auf den Beruf der Pflege aufmerksam zu machen. Dies lief aber nur sehr schleppend. Also musste eine neue Idee her.
Weitervermittlung von Fachkräften aus dem Ausland
Und so kamen wir auf Agenturen, die sich mit Fachkräften aus dem Ausland beschäftigten. Anfänglich lief alles noch sehr zögerlich und vorsichtig ab. Ein Skype-Termin mit potenziellen Mitarbeitern wurde ausgemacht, um alle persönlich in einem Gespräch kennenzulernen. Zu diesem Termin wurden ausgewählte Leitungen von verschiedenen Disziplinen in meiner Klinik eingeladen. Meine Leitungskollegen und ich saßen alle gespannt vor dem Bildschirm und stellten uns erstmal vor. Wir skypten mit vier rumänischen Frauen und Männern. Nach einer Kennenlernrunde fingen wir an, unsere Fragen zu stellen. Wie sind die Deutschkenntnisse? Besitzen die Bewerber einen Führerschein ? Das ist ein gewisser Vorteil, weil ein Mitarbeiter dann nicht auf den Bus oder Zug angewiesen und in der Dienstplanung flexibler einsetzbar ist. Wie sind die Vorstellungen von der Arbeit bei uns? Ich war sehr überrascht, dass zwei von ihnen schon relativ fließend Deutsch konnten. Anfänglich war ich sehr skeptisch an die Sache rangegangen. Ich machte mir Sorgen um die sprachlichen Hürden und fragte mich, ob sie die neuen Mitarbeiter fern der Heimat gut einleben würden. Doch je mehr ich darüber nachdachte, umso klarer wurde mir, dass dies unsere Zukunft sein würde. Wo sollte man denn sonst so schnell neue Fachkräfte herbekommen? Leider ist der Pflege-Beruf in Deutschland noch nicht gut genug angesehen. Zwar ist ein Wandel langsam spürbar, aber vollzieht sich in meinen Augen noch viel zu zögerlich. Pflege kann nicht jeder, dies muss man leben und lieben können.
Unser erster neuer Kollege aus dem Ausland
Am 1.3.2020 war es soweit. Auch unsere Station, die Unfallchirurgie, sollte nun Verstärkung aus dem Ausland bekommen. Unser neuer Kollege heißt Ionel, ist 30 Jahre alt und kommt aus Rumänien. Er ersetzte eine langjährige Kollegin, die in ihren wohlverdienten Ruhestand ging. Der neue Kollege kam nicht allein in die Klinik. Mit ihm kamen zahlreiche Fachkräfte aus Rumänien, Italien und den Philippinen.
Meine Station hat das große Glück, gutes Stammpersonal zu haben, das sein geballtes Know-how an den neuen Kollegen weitergeben kann. Jeder Anfang ist schwer. Und so hatten auch wir anfangs Kommunikationsprobleme trotz bereits vorhandener Deutschkenntnisse. Es mussten Geduld, Empathie und Verständnis von beiden Parteien erlebt und gelebt werden.
Ankommen in der Ferne
Natürlich war uns klar, dass ein Neuanfang mit 30 Jahren in einem fremden Land tausende Kilometer von der Heimat entfernt kein Zuckerschlecken ist. Die Trennung von Familie und Freunden ist hart – und dann auch noch die deutsche Grammatik! Auf unseren neuen Kollegen wirkten sehr viele neue Eindrücke ein, die, wie er sagte, ihn mehr psychisch als physisch belasteten. Zudem sind die Tätigkeiten als Krankenpfleger in Rumänien ganz andere. Körperpflege, Ausscheidungen entfernen – das wird zum Beispiel in Rumänien nicht von Fachkräften durchgeführt, sondern von Angehörigen oder Hilfskräften erledigt. Diese Aufgaben musste Ionel bei uns erst neu erlernen.
Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, unseren neuen rumänischen Kollegen ins Team und ins Land zu integrieren. Und nach mehr als sechs Monaten auf unserer Station würde ich sagen, dass meinen Kollegen und mir dies gut gelungen ist. Ionel ist nun ein Teil des festen Teams. Mein Fazit ist, dass man keine Angst vor neuen Ideen und Projekten haben muss. Denn manche Ideen erweisen sich als sehr hilfreich.
Foto: Antonio Janeski/ Unsplash