GASTBEITRAG:
Mit „Ärzte ohne Grenzen“ war Raina Klüppelberg bei einem humanitären Nothilfe-Einsatz im Südsudan unterwegs. Heute engagiert sich die Gesundheits- und Krankenpflegerin des Kardiologischen Funktionsdienst der Asklepios Klinik Altona vor der eigenen Haustür. In ihrem dritten Gastbeitrag erzählt sie von ihrer ehrenamtlichen Arbeit in einem Flüchtlingslager in Hamburg.
Bei meinem Einsatz mit „Ärzte ohne Grenzen“ im Südsudan hatte ich das Gefühl, etwas Nützliches getan zu haben. Ich konnte mein Fachwissen weitergeben und den südsudanesischen Mitarbeitern zeigen, wie sie ihre eigenen Leute versorgen können. Und auch sie haben mich einiges gelehrt: dankbarer zu sein zum Beispiel und sich an den kleinen Dingen des Lebens zu erfreuen. Diese Menschen haben mein Herz berührt.
Mahatma Gandhi hat einmal gesagt: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt“. Als Krankenschwester habe ich die Möglichkeit, anderen Menschen zu helfen. Diese Möglichkeit will ich nutzen.
Einsatz in der Flüchtlingsunterkunft
In meiner Freizeit arbeite ich für die Stadt Hamburg in einer zentralen Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge in der medizinischen Sprechstunde. Dort kann ich mein Fachwissen und meine Erfahrungen mit „Ärzte ohne Grenzen“ einbringen und direkt vor meiner Haustür helfen. Drei bis vier Stunden täglich ist die medizinische Sprechstunde besetzt. Wir versorgen Erwachsene und Kinder mit Medikamenten, wechseln Verbände und geben Spritzen.
Ein gut gefüllter Apothekerschrank mit den wichtigsten Medikamenten steht uns zur Verfügung, um die häufigsten Erkrankungen wie zum Beispiel Erkältungen, Zahnschmerzen und Durchfälle zu behandeln. Aber die Ambulanzärzte überweisen Kranke auch an niedergelassene Zahnärzte, Neurologen, HNO-Ärzte oder andere Spezialisten, die mit der zentralen Erstaufnahme kooperieren.
Panik vor dem Rettungswagen
In dringenden Notfällen werden Patienten natürlich ins Krankenhaus geschickt. Dies ist für die meisten Patienten sehr verängstigend. Mit Hilfe unserer Übersetzer (Arabisch, Tigrinya, Albanisch und Farsi) wird dem Patienten erklärt, dass er zur Abklärung seiner Beschwerden in die Notaufnahme muss. Ein älterer Mann aus Eritrea, mit Schmerzen im Brustraum (thorakale Beschwerden), hohem Blutdruck und einer kaltschweißigen Stirn geriet in Panik, als wir ihm erklärten, er würde gleich von einem Rettungswagen abgeholt werden. Er wollte nicht schon wieder getrennt werden von seiner Familie. Er hatte gehofft, dass wir ihm irgendeine Tablette geben könnten, um seine Symptome zu lindern. Durch gutes Zureden des Übersetzers, der Autorität der Ärztin und meiner beruhigenden Hand konnte der Mann am Ende überzeugt werden, dass wir ihn nicht loswerden, sondern ihm helfen wollten.
Meine Aufgabe ist es, die Beschwerden der Patienten in einer Kartei aufzuschreiben. Dort notiere ich die Diagnose und den Behandlungsverlauf der Ärzte. Außerdem suche ich die Medikamente aus dem Apothekerschrank, dosiere und verabreiche diese. Außerdem messe ich die Vitalzeichen wie Blutdruck, Puls und Temperatur , wechsle zusammen dem Arzt die Verbände und verabreiche Injektionen. Oft haben die Bewohner der Flüchtlingsunterkünfte für uns eher ungewöhnliche Erkrankungen wie zum Beispiel Krätze, Parasiten, Abszesse oder Hautveränderungen. Dann sind meine Erfahrungen aus meinem Einsatz mit „Ärzte ohne Grenzen“ sehr hilfreich. Im Südsudan war ich bereits mit solchen Krankheitsbildern konfrontiert worden.
Schicksale, die unter die Haut gehen
Gerade Kinder und Frauen sind oft verstört und leiden unter Traumata, die sie auf der Flucht erlitten haben. Es gibt eine psychologische Betreuung für solche Fälle. Trotzdem erfahre ich oft von Schicksalen, die kaum auszuhalten sind. Ich erinnere mich an den Erfahrungsbericht einer Frau, der mir sehr unter die Haut ging. Sie erzählte wie in Trance, dass sie auf ihrer Flucht von mehreren Männern vergewaltigt wurde und nun Ausfluss habe und Medikamente benötige. Der junge männliche Übersetzer brachte ihren Bericht kaum über die Lippen. Das sind Momente, die man nicht so leicht abschütteln kann.
Es gibt auch die vielen schönen Momente. Etwa, wenn die Kinder sich über ein kleines Geschenk aus unserer Spielzeugspenden-Box freuen und unsere Sprechstunde mit glänzenden Augen verlassen – und zwar dieses Mal nicht vom Fieber. Oder die Visiten bei Schwerkranken und Behinderten in den Container-Unterkünften. Mein erster Besuch bei einer älteren, gebrechlichen Frau ging mir ebenfalls unter die Haut. In dem kargen Container, vollgestellt mit Betten, lag die fiebrige Dame. Trotz des Platzmangels und der bescheidenen Lebensumstände wurde der Ärztin und mir sofort ein Platz auf einem Bett angeboten und Kekse und Tee herbeigeschafft. Die Gastfreundschaft war rührend.
Stütze in sehr persönlichen Momenten
Ich empfinde meinen Beruf als große Aufgabe mit großer Verantwortung. Als Krankenschwester helfe ich Menschen in sehr intimen Situationen, etwa bei der Körperpflege. Ich bin da und begleite den Verlust eines Angehörigen oder die Diagnose einer schlimmen Krankheit. Ich darf auch die schönen Dinge miterleben, wie die Geburt eines Kindes oder das Abnehmen eines Verbandes, wenn die Wunde geheilt ist. Es ist ein Privileg, einem Menschen so nah sein zu dürfen. Ich versuche, eine Stütze zu sein.
Sicherlich ist die körperliche Arbeit oft manchmal anstrengend. Auch der Schichtdienst und Wochenenddienste schlauchen. Aber spätestens, wenn mich ein Patient anlächelt, weiß ich, dass ich den richtigen Beruf ausübe.
In ihrem ersten Gastbeitrag beschreibt Raina, wie sie zur Weltenbummler-Krankenschwester wurde.
Von ihren Erlebnissen als Krankenschwester im Südsudan berichtet Raina in ihrem zweiten Gastbeitrag.
Foto: Fotolia / cicisbeo