Die Pflege ist ein 24-Stunden-Job. Dabei benötige ich eigentlich sehr viel Schlaf. Das war schon immer so. Acht bis zehn Stunden pro Nacht waren keine Seltenheit. Aber mit dem ersten Kind änderte sich schlagartig alles. Plötzlich reichten auch zwei bis vier Stunden am Stück. Irgendwie jedenfalls. An manchen Tagen ließ sich der Mangel kompensieren, an anderen nicht. Wie ein müder Zombie schob ich manches Mal den Kinderwagen durch die Hamburger Parks. Mit dem Umzug auf das Land zu den Apfelbäumen und mit dem bald folgenden zweiten Kind wurde es anfangs nicht einfacher. Jeder, der Kinder hat, weiß, wovon ich spreche. Dass ausgerechnet ich später im Nachtdienst lande, hätte ich damals nie vermutet.
Nun bin ich in der Pflege gelandet, der Schichtdienst erfordert, und zwar rund um die Uhr. Es fühlt sich noch immer merkwürdig an, dienstlich antizyklisch zu leben: den langen Autoschlangen morgens und abends am Deich entgegenzufahren. Kein Stau vor dem Elbtunnel – für mich jedenfalls.
Seit fast drei Jahren arbeite ich ausschließlich nachts in der Pflege in der psychosomatischen Abteilung. Während alle um mich am Abend den Stress des Tages abstreifen, fahre ich meine Energien hoch. Das führt manchmal zu Interessenskonflikten innerhalb der Familie.
Um 21 Uhr ist Dienstbeginn. Bis nach Mitternacht habe ich dann viel zu tun: Zu jedem Patienten auf der Station nehme ich Kontakt auf. Die, die bereits schlafen, lasse ich natürlich in Ruhe. Ich bin Ansprechpartnerin für alles, was den Patienten auf der Seele liegt, ich habe immer ein offenes Ohr für sie. An emotionalen Tagen wie zu Weihnachten und Silvester ist da der Bedarf besonders hoch. Unerfüllte, oft auch unausgesprochene Erwartungen, familiäre Katastrophen, alte und neue Streitereien oder das Gefühl von Einsamkeit, das alles kommt vor. Mein Aufgabe: Gemeinsam diese Augenblicke auszuhalten und den Patienten sinnbildlich eine Fußmatte zu reichen, wenn ihnen der Teppichboden unter den Füßen entgleitet. Pflege für die Seele.
Stille Nacht: Pflege für die Seele
„Stille Nacht, heilige Nacht. Alles schläft. Einsam wacht …“ – so beginnt ein traditionelles Weihnachtslied. Es gibt Nächte, da schlafen wirklich alle Patienten tief und fest. Und das ist auch gut so. Sollen sie nach Möglichkeit ja auch.
Aber genau in diesen Nächten, wenn wirklich jeder Papierkram und alle Routinearbeiten erledigt sind, das Stationszimmer vor Sauberkeit und Ordnung glänzt und die regelmäßigen Rundgänge durchgeführt sind, kann ein Nachtdienst sehr lang werden. Das Springen des Uhrzeigers zwischen 3:00 Uhr und 4:00 Uhr morgens von einer Sekunde zur nächsten, scheint sich zu verlangsamen. Mein Blick schweift in solchen Augenblicken zu den erleuchteten Fenstern meiner nächtlichen Kollegen, die am Schreibtisch arbeiten oder geschäftig die Räume wechseln. Einmal sah ich eine Kollegin auf dem gegenüberliegenden Stationsflur aus einem Patientenzimmer kommen und sich auf einem Skateboard fortbewegen. So etwas hatte ich zuvor noch nicht gesehen.
Es gibt auch unruhige Nächte. Solche, in denen ich kaum Luft holen kann, wo die Bedürfnisse so groß sind, dass sich die Patienten nacheinander im Stationszimmer drängen. Da vergeht der Dienst natürlich wie im Flug.
Der frühe Vogel …
Sobald die Vögel draußen ihre Unterhaltungen beginnen, ist der Schichtwechsel nicht mehr fern. Es ist, als hätte man mit dem Erreichen des müden Punktes die Spitze eines Berges erklommen. Nun beginnt für mich der Abstieg zur Zielgeraden. In mir mobilisieren sich meine Energien für die verbleibenden Vorbereitungen für den Frühdienst. Und der Blick auf die Uhr sagt mir, dass es nur noch wenige Stunden bis zum Dienstende um 07:00 Uhr sind.
Die Stille auf der Station wird am Morgen mit dem Eintreffen der Reinigungskraft, die ihre Putzmaterialien auf dem Wagen mit kleinen quietschenden Reifen vor sich herschiebt, durchbrochen. Mit der Übergabe an die Kollegen endet der Dienst. Müde bin ich. Und ohne Stau, dem Berufsverkehr entgegen fahrend, erreiche ich die heimatlichen Apfelbäume. Und gehe schlafen. Gute Nacht.
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